Im Interview: The Bad Mouse Orchestra über ihr queeres Album "Drunk with Love"
Tweed, Boater, zwei Ukulelen, ein Bass und eine Gitarre – so steht das Bad Mouse Orchestra auf der Bühne und versetzt uns mit Swing- und Jazz-Klängen zurück in die 20-40er Jahre des letzten Jahrhunderts. Charlotte Pelgen, Jake Smithies, Stefan Pößiger und Peter Jung haben sich, äußerlich und musikalisch, voll und ganz dieser Zeit verschrieben und machen sich seit Jahren für ein Thema besonders stark: „Schwulen“ Swing und Jazz. Gerade haben sie erfolgreich ihre Crowdfunding-Aktion für das erste, designierte queere Album „Drunk with Love“ abgeschlossen, mit dem sie das Scheinwerferlicht auf eine fast vergessene, künstlerische Strömung der 20er Jahre richten und Musikern aus der damals florierenden homosexuellen Szene eine Bühne bieten wollen.
Credit: The Bad Mouse Orchestra
"In einem Rausch von Euphorie haben wir [...] das Bad Mouse Orchestra gegründet!"
Uke Supply: Danke, liebe Charlotte und liebe Mäuse, für die Gelegenheit, euch zu diesem großartigen Projekt ein paar Fragen zu stellen und Glückwunsch, zum erfolgreichen Crowdfunding! Zunächst sind wir neugierig und würden gern etwas mehr über The Bad Mouse Orchestra erfahren. Wie ist die Band entstanden? War es die Liebe zu Song aus den 20er und 30er Jahren, die euch zusammengeführt hat?
Bad Mouse Orchestra: Jedes Jahr besuchen wir alle das “Sommermusikfest”, ein einwöchiges Privatfestival auf dem unglaublich tolle Kurse, wie zum Beispiel “Bal Folk Ensemble”, “Steeldrums”, “Klezmer” und “Koreanische Musik”, angeboten werden und auf dem es jeden Abend ein ganz buntes Konzertprogramm gibt. Dort gibt es ganz viele Möglichkeiten, miteinander Musik zu machen und so saßen wir durch Zufall eines Mittags mit unseren Instrumenten zusammen. Wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir alle die gleiche Leidenschaft für diese alte Musik teilen. In einem Rausch von Euphorie haben wir dann direkt das Bad Mouse Orchestra gegründet! Wir konnten unser Glück kaum fassen, immerhin trifft man nicht jeden Tag Leute, mit denen man aus dem Stegreif den 12th Street Rag und Five Foot Two jammen kann.
"[...] man merkt, die Ukulele ist in dieser Musik absolut zu Hause!"
US: Nicht nur eure Musik, auch euer Kleidungsstil ist inspiriert von den 20er und 30er Jahren, mit Boater, Marlene-Hosen, Fliege und Tweed-Stoffen. Wo shoppt ihr euren außergewöhnlichen Vintage Style?
BMO: Das ist ganz unterschiedlich! Viele Teile kommen aus Secondhandläden oder von eBay und Etsy, andere kommen von modernen Marken, die nach alten Schnittmustern nähen, und ein paar sind sogar maßgeschneidert. Ein paar Marken, die wir wärmstens empfehlen können sind Vecona Vintage, A Piece Of Chic, Emmy Design, Carlo Jösch und Simon James Cathcart.
Credit: Frank Kloten
US: Die Ukulele erlebte in den 20er/30er Jahre in den USA einen Boom, der bis in die 50er Jahr andauerte. Sind eure Arrangements in der Regel für die Ukulele entstanden oder übersetzt ihr sie selbst für das beste Instrument der Welt?
BMO: Damals konnte man die ganzen populären Lieder als einzelne, wunderschön illustrierte Notenblätter kaufen. Dadurch, dass die Ukulele DAS Modeinstrument schlechthin war, war ein großer Teil dieser “Sheet Music” mit Ukulele-Griffsymbolen versehen. Auch wenn diese Akkordfolgen noch lange kein vollständiges Arrangement ergeben, merkt man doch, dass die Lieder für Ukulele wie geschaffen sind; so entstehen Arrangements oft ganz selbstverständlich. Auch wenn wir eine Big Band Aufnahme in ein Ukulele-Arrangement übersetzten – man merkt, die Ukulele ist in dieser Musik absolut zu Hause! Zu unserem Repertoire gehören aber auch originale Roy-Smeck-Arrangements, die Stefan von Vincent Cortese, einem alten Schüler von Roy, via Skype Unterricht gelernt hat. Ich kann allen, die Roy nicht kennen, wärmstens empfehlen, sich auf eine kleine Roy-Smeck-Youtube-Tour* zu begeben!
"Geplant war bei uns gar nichts!"
US: Wie seid ihr zur Ukulele gekommen? War schon immer klar, dass The Bad Mouse Orchestra von der Ukulele geprägt sein würde?
BMO: Geplant war bei uns gar nichts! Wir haben eben die Instrumente gespielt, die wir spielen konnten, und das Einzige, was uns von Anfang an klar war und noch immer ist: Wir wollen zusammen diese Musik machen! Die Ukulele rutscht natürlich vor allem durch die Roy-Smeck-Arrangements oft in den Vordergrund, aber ich würde auf keinen Fall sagen, dass sie eine größere Rolle spielt als Gitarre und Bass. Ohne deren musikalischen Rahmen, würde alles auseinanderfallen!
Credit: Uke Supply
"Das 'Lila Lied' kritisiert eine Gesellschaft, in der man verurteilt wird, weil man anders liebt, als es die Norm vorsieht."
US: Als wir 2019 in Graz das erste Mal das Vergnügen hatten, euch live zu hören, habt ihr auf der Bühne erwähnt, dass es bereits in den 1920er Jahren eine Schwulenbewegung gab, die euch sehr interessiert und inspiriert. Nun steht euer erstes designiert queeres Album in den Startlöchern. Wann und wie begann die Faszination für dieses Thema?
BMO: Vor etwas über einem Jahr haben wir das “Lila Lied” durch Zufall entdeckt. Geschrieben 1920 in Berlin war es die erste queere Hymne, die eine ganze Bewegung begleitete. Ich verwende jetzt “queer” als Sammelbegriff für Personen, die sich heute zur Community von LSBTIQ+ zählen. Auch kann man die damalige Bewegung nicht nur auf schwule Männer beziehen, obwohl es sicher zunächst die größere Gruppe war. Das “Lila Lied” kritisiert eine Gesellschaft, in der man verurteilt wird, weil man anders liebt, als es die Norm vorsieht. Der Text zelebriert das Anderssein als etwas Eigenes, auf das man stolz sein kann und verweist zuversichtlich in eine Zukunft, in der die Gleichberechtigung erreicht sein wird. So ein Text lässt einen erstmal nicht los und wir wurden unglaublich neugierig, auf das, was damals alles passierte, bis diese Bewegung Mitte der 1930er Jahre brutal beendet wurde.
"Wir können nur spekulieren, wie viele Menschen, die sonst nie Zugang zu einer queeren Szene gehabt hätten, sich in diesen Musikern wiedererkannt haben und eine Form von Zugehörigkeit erlebten!"
US: Ihr habt bei euren Recherchen herausgefunden, dass die Schwulenbewegung der 1920er und 30er Jahre möglicherweise auch die Stonewall Riots und das globale Gay Rights Movement befeuert hat. Heute, wo Social Media uns global vernetzt und auch Randgruppen sich nicht allein fühlen und organisieren können, ist es schwer vorstellbar, wie sich eine globale Bewegung ohne diese Medien entwickeln kann, wie sich Menschen trotz geographischer Trennung gegenseitig inspirieren können. Wie können wir uns die globale Entwicklung der 20er Jahre vorstellen?
BMO: Es ist ein Netz von komplexen Faktoren, die diese Bewegung möglich gemacht hat. Wir haben uns hauptsächlich mit der Musik befasst und sind bei Weitem keine Historiker, aber ich versuche mal, das Wichtigste zusammenzufassen: Von einer globalen und organisierten Entwicklung würde ich nicht sprechen. Die Bewegung war begrenzt auf Großstädte der westlichen Welt und auch dort sehr unterschiedlich – am sichtbarsten vermutlich in Deutschland und in den USA. Dort herrschte in den 1920er Jahren der Spirit des “Anything Goes”. Eine Welle von Verlangen nach Freiheit und weniger konservativen Regeln, auch sexueller Selbstbestimmung rollte durch die Gesellschaft nach dem ersten Weltkrieg. Frauen hatten – kurz gesagt – keine Lust mehr auf lange Röcke, Korsetts und verstaubte Frisuren. Sie schnitten die Haare kurz, trugen luftige Kleider bis knapp unters Knie, feierten wild und wurden “Flappers” genannt. Exzessive Partys waren angesagt, neue energetische Tänze fegten durch die Nachtlokale. In Deutschland war es das Chaos der Weimarer Republik, in den USA die Prohibition, die den perfekten Nährboden für eine sich emanzipierende queere Bewegung stellte. Queeres Entertainment war auch in Hetero-Kreisen angesagt und neue wissenschaftliche Erkenntnisse verbreiteten sich. Ganz am Anfang – interessanterweise in Deutschland im späten 19. Jahrhundert – stehen Forschungen und aktivistische Tätigkeiten von dem Juristen Karl-Heinrich Ulrichs und dem Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld, dem übrigens das Lila Lied gewidmet wurde. Beide regten jeweils Diskussionen an zu der These, dass Homosexualität keine Krankheit sei, sondern eine angeborene Eigenschaft, die in keiner Form geheilt werden könne, bzw. müsse. Auch das Thema Transsexualität, bzw. Transidentität wurde bereits in den frühen 1920ern in Hirschfelds Institut wissenschaftlich untersucht mit dem Ziel, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Medium der Verbreitung war damals neben Filmen und Zeitschriften besonders auch Musik. Die Musiker, mit denen wir uns beschäftigt haben, spielen keine unwichtige Rolle darin, queere Lebensentwürfe an die Öffentlichkeit zu tragen. Wir können nur spekulieren, wie viele Menschen, die sonst nie Zugang zu einer queeren Szene gehabt hätten, sich in diesen Musikern wiedererkannt haben und eine Form von Zugehörigkeit erlebten! Sichtbarkeit verändert alles! Als diese Aufbruchsphase Mitte der 1930er Jahre sowohl in Deutschland als auch in den USA durch die Politik abgewürgt wurde, dauerte es gut drei weitere Jahrzehnte bis wenige Tage nach der Beerdigung von Judy Garland – bekannt für das Lied “Somewhere Over The Rainbow“ – die Stonewall Riots stattfanden. Dieses Lied, das schon früh in der queeren Community eine große Bedeutung hatte, schlägt die Brücke aus den 1930er Jahren zu den späten 1960er Jahren und noch bis heute. Man darf sicher vermuten, dass das Lied auch 1978 als Inspiration für die Regenbogenflagge wirkte, das Symbol für die Befreiung der queeren Szene. Inzwischen gibt es auch für einzelne Gruppen ganz eigene Farben im Sinne von “more colour, more pride“.
Credit: The Bad Mouse Orchestra
"Wenn man Leserbriefe eines schwulen Magazins Mitte der 1920er Jahre liest, [...] dann merkt man, dass dieses Lied etwas ganz Besonderes ist."
US: Den Ausschlag gegeben zu eurem Projekt einer queeren CD hat das „Lila Lied“, das 1920 in Berlin geschrieben wurde. Was hat euch daran so fasziniert?
BMO: Es hat so vieles ausgedrückt, dass bis dahin niemand gewagt hat, auszusprechen. Es ist mutig, ehrlich, hat bestätigt, dass man nicht alleine so “anders” ist, hat zur Revolution aufgerufen und Trost gespendet. Wenn man Leserbriefe eines schwulen Magazins Mitte der 1920er Jahre liest, in dem Leute beschreiben, wie ihre Familien sie allein wegen dieses Liedes zu akzeptieren begannen, dann merkt man, dass dieses Lied etwas ganz Besonderes ist.
US: Wie viel Spannendes habt ihr im Laufe eurer Recherchen entdeckt? Wie können wir uns das Leben eines schwulen Künstlers der 20er Jahre in Deutschland vorstellen?
BMO: Das kann man pauschal nicht beantworten. Die Lebensgeschichten unserer queeren Künstler*innen sind genauso unterschiedlich und einzigartig, wie die heterosexueller Künstler*innen. Das beruht unter anderem auf Geburtsort, Zugang zu Bildung, Familie, wie offen sie mit ihrer queeren Identität umgegangen sind, welche Menschen sie in ihrem Leben trafen. Eines haben sie aber alle gemeinsam, nämlich dass sie entweder extrem viel Aufwand betreiben mussten, zu verstecken, dass sie nicht der Heteronormativität entsprachen, oder dass sie Diskriminierung, Hass oder Not erlebten. Es kam leider nicht selten vor, dass Selbstmord als einziger Ausweg gesehen wurde. Es war nicht einfach, und umso wertvoller sind die Erfahrungen einiger dieser Künstler, die eine queere Familie gefunden haben und die einen Vorgeschmack von Freiheit und Selbstbestimmung bekommen konnten.
Credit: Frank Kloten
"Bisweilen findet man Schellackaufnahmen [...] mit sehr unverblümten Anspielungen."
US: Was macht die schwule Musik dieser Zeit aus? Ihr habt euch selbst dem Swing und Jazz verschrieben. Sind diese Stile typisch für das Gay Movement in dieser Zeit?
BMO: Diese Stile sind generell typisch für diese Zeit. Obwohl es auch damals noch andere Musikstile gab, war die Zeit doch hauptsächlich von Blues, Jazz und Swing geprägt und die haben auch vor der queeren Szene nicht Halt gemacht. Auch haben einige große Musiker der Zeit, wie Cole Porter, queere Thematik in ihren Liedern clever versteckt. Nur “Eingeweihte”, die die geheimen Stichwörter erkannten, wussten, worum es wirklich ging. So waren viele queere Lieder nicht ausschließlich Teil der Szene, sie zeigen uns heute aber, dass die Zeichen von queerem Leben immer mehr in allen Bereichen des öffentlichen Lebens in Erscheinung traten. Bisweilen findet man Schellackaufnahmen aus Deutschland oder England mit sehr unverblümten Anspielungen. Noch typischer als Swing war allerdings das Chanson und kabarettistische Lieder, vorgetragen meist von einer einzelnen Person mit Klavier und Gesang – oft wurde auch nur über eine musikalische Begleitung gesprochen, meist sehr “campy” und “stereotypically gay”. Von diesen gibt es auch einige auf unserer CD!
"Mit unserer CD wollen wir unseren Beitrag leisten, queerer Kultur mehr Platz auf europäischen Bühnen zu schaffen [...]"
US: Ihr habt euch diesem Thema mit Herz und Blut verschrieben, seid für eure Recherche nach London, Berlin und Los Angeles gereist, mit dem Wunsch diese weitgehend vergessenen Künstler wieder sichtbar zu machen, sie in unser kollektives Gedächtnis zurückzuholen. Weshalb ist das für euch persönlich so wichtig?
BMO: Ein paar von uns repräsentieren auch in unserer Band die LGBTQ+ Szene – und so haben wir natürlich einen direkten persönlichen Bezug. Wir finden außerdem, dass es nach wie vor wichtig und relevant ist, sich für LGBTQ+ Rechte stark zu machen. Auch wenn es immer noch Diskriminierung gibt, geht es uns in Deutschland unglaublich gut; so gut wie noch nie in der Geschichte. Das ist nicht überall so! Mit unserer CD wollen wir unseren Beitrag leisten, queerer Kultur mehr Platz auf europäischen Bühnen zu schaffen, und vielleicht bietet sie ja für den/die ein*e oder andere*n sogar einen unterschwelligen Einstieg zu queerer Geschichte. Natürlich sind uns die Künstler*innen extrem ans Herz gewachsen und auch ohne Fokus auf das Thema haben sie einfach geniale Lieder geschrieben, die es verdient haben, endlich wieder gehört zu werden!
Credit: Frank Kloten
US: Besonders hübsch: Einer der Perks eurer Crowdfunding-Aktion war ein Lei in Regebogenfarben (Anm.: ein hawaiianischer Blumenkranz). Für uns ist das eine wundervolle gedankliche Verbindung zwischen unserem Lieblingsinstrument aus Hawaii und der Schwulenbewegung. Aber für euch steckt vermutlich noch mehr dahinter: Was hat es damit auf sich?
BMO: Es bezieht sich auf das Lied “Lei from Hawaii”, das auch auf der CD ist. Queere Kabarettisten haben oft Doppeldeutigkeiten in ihren Liedern versteckt – in diesem Fall ist es der Gleichklang von Lei – also der Blumenkette – und Lay – auf Deutsch am ehesten “der Akt des Flachlegens/Flachgelegtwerdens“, wie bei “to get laid“. Und so kann man sich selber aussuchen, wie man Textzeilen verstehen möchte, wie zum Beispiel “Give your girl a Lei, Mister! … Try this Lei over at your piano, some Leis look lovely on a piano … and some look better on a couch! And I have known of a couple of peculiar people, who like Leis on the floor … and even a Lei farmer fashion, in the hay ….”
US: “Danke für eure Zeit, liebe Mäuse!
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Wer jetzt neugierig geworden ist, kann hier in "Drunk with Love" reinschnuppern, sich bis zum Erscheinen des neuen Albumgs die bereits verfügbare, von uns heiß geliebte CD „Ukulele Treasures from the Golden Swing Era“ bestellen und The Bad Mouse Orchestra auf Social Media folgen:
Website und Shop, wo ihr voraussichtlich ab Ende Mai, Anfang Juni "Drunk with Love" kaufen könnt.
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*Roy Smeck war ein virtuoser Ukulele Spieler der 20er 30er Jahre und hat im Laufe seiner Karriere diverse Schlagtechniken entwickelt die seine Zuschauer immer wieder aufs neue verblüfften und begeisterten. Er wirft die Ukulele durch die Luft, dreht sie, schleudert sie, pustet in sie, und erzeugt Töne von denen niemand versteht woher sie kommen. (Quelle: The Bad Mouse Orchestra)
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